NICHTS OHNE FORM
Klaus Merkel
Gemälde in einer Zeit höchster visueller Anspannung und Deutungsverwirrung; Malen heute im Druck von Netzwerken wie Instagram, ausgesetzt dem Verfall von Form, Erinnerung und Bildfunktion; Malerei, die atemberaubend, zeitintensiv, voll visueller Argumente und mit geballter Farbintensität daherkommt; Bilder aus Hand und Kopf, mit Pinselduktus und riskanten Formausflügen zu durchbrochenen Farbebenen: So sind Bedingungen und Sensationen, die Malerei aus- und unübersehbar machen. Ein fossiles Medium?
Das Werk von Thomas Werner beseitigt jeden Zweifel. Immer entschieden Abstand gehalten zu jenen Malerunterhaltern, die eine Prüfung der Wertigkeit im leichtfertigen Konzept entsorgen und um keinen Preis zögerliche Entwickler von Bildflächen sein wollen. Klingt nach purem Anachronismus, Widerstand gegen den Zeitgeschmack? Klingt nach Verachtung jener hohlen Fetische aus dem Steinbruch der Dekonstruktion, die im Witz als Crapstraction daherkommen und die Rolle in den geilen Society Circles gleich mitliefern?
Nichts ohne Form. Im 21. Jahrhundert eine herkömmliche Vorstellung von Malerei aufrechtzuerhalten, ist gewagt. Zu den abgelegten und abgehakten Kunstgeschichten der Moderne Anschluss zu halten, ist heute eine Aufführung wert. Ein Prozess, der entgegen allen wiederholten Beschwörungen keineswegs als abgeschlossen gelten kann.1
Thomas Werner hat schon immer Figuren neben sich gestellt, die nicht in erster Linie Erneuerer waren. Wer sich auf Otto Meyer- Amden, Edouard Vuillard, Balthus, Oskar Schlemmer oder Howard Hodgkin beruft, weiß, dass es auf Komposition, eine konzentrierte Farbigkeit und ein bewusst kurzgehaltenes bildnerisches Inventar ankommt; dass es nicht mehr um das umwälzende Potenzial von Effekten eines Künstlertums gehen kann.
Für ihn zählt nur das Bild: dessen Kultiviertheit in der Machart, eine Eleganz von Linien, das treffende Format, die stimmige Textur. Seine Arbeiten dürfen noch immer an Dekor erinnern und an Fragen an- docken, die im Vorgriff auf die Moderne irgendwann Handwerk und Alltag mit Abstraktion und Ornament verbunden hatten.2
Sein Studium bei Georg Baselitz an der Kunstakademie Karlsruhe war für Thomas Werner prägend. Baselitz vermittelte mit seinem Frühwerk nicht nur eine der wichtigsten Bilderfindungen der Nachkriegsfigürlichkeit, er hat bildimmanente Fragestellungen regelrecht zelebriert; durch das Überkopfdrehen der Motive und mit der inner- psychisch-subjektiven Verfasstheit seiner Bildgegenstände verhandelte er den ganzen Komplex malbarer Möglichkeiten.
Folglich war der Gegensatz abstrakt/gegenständlich im Werk Thomas Werners schon früh aufgehoben. Entgegen der Vermutung, bloß abstrakter Farbmaler zu sein, setzte er im Verlauf seiner inzwischen 35-jährigen Malereipraxis oft genreübergreifende Sujets ein. Das ermöglichte immer einen freien Zugang, der ihn vor ideologischem Ballast schützte und auch dazu beigetragen hat, die Ideenproduktion auf kleinstem Raum stattfinden zu lassen: der Skizze, die nur an ihr künftiges Bild gekoppelt ist und keine Idee im Vordergrund braucht. Von Anfang an stand Figuratives im Wechselspiel mit ganz abstrakt anmutenden Sequenzen – als könnte eine Woge durch eine andere geglättet oder wieder aufgewühlt werden.
Der Maler legt bei allen Schritten Wert auf Solidität, beginnend beim Kreidegrund auf Jute, jenem Stoff, der in den neuesten Werken auf den ersten Blick unfassbar grob durch den Bildgrund dringt und, dicht mit reinem Pigment gesättigt, eine ungesehene Leuchtkraft entwickelt. Der Farbe selbst ist deshalb mit größter Aufmerksamkeit zu begegnen. Farbe kann auch Fassung sein, wie bei seinen Reliefs: Sie sind in erster Linie Farbträger – farbig gefasst.
Tagwerk, Fassung, Figur/Grund-Verhältnisse, Skizze, Leinwand, Jute, Papier, Tafelbild, Keilrahmen, Pigment und Leimtempera lassen malerische Methoden anklingen, die traditionalistisch daherkommen. Diese Ansage will eine andere Sicht auf die Malerei der Gegenwart. Thomas Werners Rückschau ins Herkömmliche geschieht ganz im Bildinteresse. Alles, was er malt oder als Maler vorträgt, entspringt einem konzentrierten Formwillen, den er durch sein Arbeiten ins Heute katapultiert, und er schielt dabei eben nicht nach einer Moderne, die auch für ihn definitiv vorbei ist. Thomas Werner war in dieser Hinsicht schon immer kompromisslos. Was seiner Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Bild-Diskursen nie im Wege stand. Arbeiten auf Augenhöhe mit digitalen Technologien tragen deutliche Spuren davon.3
Er geht ohne Ironie, aber nicht ohne Humor an sein Werk, legt genau die Richtung fest, bestimmt die entsprechende Machart und das Material. Es gibt nicht viele andere Maler, die heute eine solche Fahrt auf sich nehmen.
Seine Arbeitsschritte geht er in nahtlosen Ebenen an. Flächen entstehen bei ihm in vielen Schritten, die ihren Malgrund locker aus den Skizzen mitführen, sei es Wellpappe, Papierrohstoff, geleimte Jute oder Gips.
Maquetten nennt Werner seine kleinen Tableaus, die Size und Größe ansteuern. Skizzen sind bewährte Grundlagen. Sie sind Arbeitsmodell und Malgerüst. Sie wandern aus Motiven der Maquetten, diesem modellhaften Bildblock, als Entwurf in die großen Formate ein. Solche Verfahrensweisen funktionieren wie eine Grammatik und ein Vokabular aus Bildmaterial. Beim Transfer entsteht eine Distanz, die dem Malprozess Gelassenheit und größtmögliche Offenheit garantiert. Denn der Übergang von der Skizze zum Großformat soll unbelastet passieren. Die vorbereitenden Skizzen sind gültige und klare Arbeiten, die einen Beginn für die kommende Malerei markieren, keine Vorstufen.
Die kalkulierten Schichten verfangen in ein Spiel, schieben sich von hinten in den Vordergrund. Und wie verdeckt, ohne dabei erzäh- lerisch zu werden, treiben sie ihre Farbbewegungen souverän vom Bildgrund an die Oberfläche, bauen sich zum ungeplanten Gewebe auf, formen Übersichten.
Ein stetig fließender Figur-Grund-Rapport steuert gleichermaßen die Gemäldekulissen. Farbgeschiebe, Tiefenauslotungen, Raumspalten und Lineamente halten die Bilder offen. Knochentrockene, pigmentgesättigte Layers, die in einem sensationellen Finish alle hybriden Zustände untrennbar ineinander verzahnen. Selbst wenn diese Ebenen mit zahlreichen Zufallsentscheidungen operieren, verschalten sie sich letztendlich immer zu neuen optischen Plateaus.
Thomas Werner schafft Form und Farbverbindungen, die in ihrer prekären Balance beklemmend schön sind. In ihrer Opulenz bleibt seine Malerei immer transparent, versteckt nicht ihren Habitus, ihr Anliegen. Nichts wird kaschiert.
Das konsequente Durchspielen kondensiert in der finalen Bildentscheidung. Malerische Gesten sind dann endgültig übereinandergeblendet, etabliert und erzeugen in den gültigen Werken eine geradezu rauschhafte Präsenz. Die Bilder bleiben dennoch nervös, widerständig, sind in permanentem Aufruhr. Das Feste ist aus ihnen gewichen. Brutale Pinselhiebe, Verpunktungen, ornamentale Quastenstöße und großzügige Farbführungen definieren jedes Tableau als Aufführungsrahmen: immer nur eine Fläche und ihr Rand. Begrenzung, ein Ausschnitt jener Bewegungsmuster, die uns der Künstler in seiner Aktion über die Bildgrenze hinweg als aleatorischen Überhang zum nächsten Bild übergibt. Eine Arbeit soll an andere andocken. Sie driften und werden doch in ihren Rahmen eingefroren. Diese Gemälde fordern absolute Nähe, schmerzen fast, sind selbst in der Distanz noch mit pulsierender Intensität aufgeladen, weil das Gemalte und sein Träger untrennbar in eins geraten sind wie ein Organismus, der sich erzeugt, transformiert und im- mer in Bewegung ist.
1. Vgl. Daniel Baumann, „Was verspricht die Form?“, in: Spike Art Magazine Nr. 51, 2017, S. 140.
2. Markus Brüderlin, „Ornamentale Gebärden abstrakter Malerei“, in: Thomas Werner – Bilder, Skulpturen, Reliefs, Ausst.- Kat. Badischer Kunstverein Karlsruhe, Karlsruhe 1990. Siehe auch: Ders. (Hrsg.,) Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog, Ausst.-Kat. Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Köln 2001
3. Seit etwa 2014 werden die Bilder nicht mehr am Computer vorformuliert. „Der Computer bleibt aus. Alles spielt sich auf der Leinwand ab.“ Marina Rüdiger zur AusstellungThomas Werner – Neue Bilder, Galerie Bärbel Grässlin 14.7.–8.8. 2015, siehe: http://galerie- graesslin.de/exhibitions/thomas-werner/200/ press
NOTHING WITHOUT FORM
Klaus Merkel
Paintings, in a time of maximum visual tension and interpretative confusion; painting today under pressure from networks such as Instagram, exposed to the deterioration of shape, memory and image function; painting, which seems so breathtaking, time-intensive, full of visual arguments and with the powerful punch of intense colors; images from the head and hand, with characteristic brushstrokes and audacious formal experiments in the direction of ruptured color levels: such are the conditions and sensations that make painting distinctive and conspicuous. An ossified medium?
Thomas Werner’s oeuvre puts any doubts to rest. Always resolutely keeping his distance to those painting entertainers who sacrifice a steel sense of value to a swift concept and who wish at no price to be hesitant developers of pictorial surfaces.Sounds like a complete anachronism, resistance to the taste of the day? Sounds like despise for those hollow fetishes from the quarry of deconstruction, which wittily seek to be crapstraction and likewise assign you a role in the chic circle of high society?
Nothing without form. Maintaining a conventional notion of painting is pretty daring in the 21st century. Sticking with the done and dusted art histories of Modernism is really worth its money.
A process that counter to all repeated evocations can by no means be considered over and done with.1
Thomas Werner has always placed figures alongside himself who were not primarily rejuvenators. Anyone who cites Otto Meyer-Amden, Edouard Vuillard, Balthus, Oskar Schlemmer or Howard Hodgkin knows that what counts is composition, concentrated coloration, and a consciously reduced creative spectrum; that the focus can definitely not be on the unsettling potential of the effects of artistry.
All he is interested in is the image, cultivated in terms of the making, elegant in terms of the lines, with an appropriate format and a coherent texture. His works may still be reminiscent of décor and relate to issues which, preempting Modernism, at some point linked craftsmanship and everyday life with abstraction and ornamentation.2
Thomas Werner studied under Georg Baselitz at the Karlsruhe Art Academy and it was a decisive heritage. In his early work, Baselitz delivered not only some of the most important new images of post-War figuration, he truly celebrated issues immanent to painting, starting by turning the subject matter upside down and finishing with the interiority and subjective nature of the objects portrayed and in this way exploring the whole gamut of what was possible in painting.
As a consequence, from an early date Thomas Werner’s oeuvre over-came the duality of abstract/figurative. Contrary to the assumption he was merely an abstract painter of colors, in the course of what are now 35 years of painterly practice he inserted cross-genre themes into his paintings. This always allowed him a free approach, protected him against ideological ballast and also helped keep the production of ideas confined to the smallest of spaces: the sketch that is linked to the future image of it and needs no idea in the foreground. From the outset, the figurative was highlighted interacting with seem-ingly quite abstract sequences, as if the one burst would be offset by the next or set in motion again.
In all these steps, Werner insists on solidity, starts with a chalk primer on jute, that fabric which in his latest works seems at first sight so inconceivably coarse and pushes its way to the fore and, when densely saturated with pure pigment develops an unprecedented luminosity. The color itself is therefore to be given great attention. Color can be a framing, as with his reliefs, which are essentially a medium for the color, framed by color.
Daily chores, framing, figure/background ratios, sketch, canvas, jute, paper, panel pictures, stretcher frames, pigment and glue tempera allude to painting methods which sound very traditionalist. This approach aspires to a different view of painting today. His glance back at the conventional is driven entirely by an interest in the image. Everything he paints or presents as a painter stems from a concentrated will to form in painting which he catapults into the present through his work rather than aspiring to some form of Modernism that he, too, feels is gone forever. In this regard Thomas Werner has always been uncompromising. And this never got in the way of his openness toward new image discourses. Works that are equals to any digital technology bear clear signs of this.3
He proceeds without irony, but not without humor, defines precisely the direction, the way the piece is made, and the materials used. There are not many other painters who are prepared to take things to the wire like this.
The various steps of the work meld seamlessly. For him, surfaces arise in many steps that lead the painterly ground to be derived easily from the sketches, be it corrugated cardboard, paper pulp, glued jute, or plaster.
Werner calls his small tableaux maquettes that define the size and stature. Sketches are traditional beginnings. They are a working model and the spine for the painting. They progress from themes in the maquettes, those model-like image blocks, into the large formats as the basic design. Such procedures function like a grammar and vo-cabulary consisting of image material. Through the transfer a distance arises that ensures the painterly process is as leisurely as it is open. For Werner wants the transition from sketch to large format to be casual. The preparatory sketches are clear and valid works that simply denote the beginning of the coming painting but are not to be grasped as preliminary stages.
The carefully construed layers get caught up in a game, push their way forward from the back into the foreground. And as if hidden they do not become narrative but masterfully conduct their movement of color from the depths of the image toward to the surface, construct an unplanned weave, a fabric formed from overviews.
The figure/background interaction is constantly flowing and controls the backdrops to each painting. The shifting colors, the exploration of depth, the fissures in space, and the lines all combine to keep the images open. Bonedry layers of saturated pigment that in a sensational finish inseparably interlock all hybrid states. Even if these levels operate with countless coincidental decisions, in the final instance they always combine to form new visual plateaus.
Thomas Werner creates formal and color connections that balance so precariously as to be oppressively beautiful. For all their visible opulence, his paintings always remain transparent, do not hide their poise or intention. Nothing is covered over.
The consistent elaboration culminates in the final image chosen. Painterly gestures are at this point definitively superimposed, established, and in the definitive works then generate a truly intoxicating presence. The images remain nervous, recalcitrant, permanently agitated. Anything fixed has fled these images. Brutal brush bashing, dots, ornamental tassel thrashing and expansive color fields define each tableau as the frame for a performance: always only a surface and its edges. A demarcation, the cropped section of that pattern of movement the artist offers us in his activity across the limits of the painting as the aleatory surplus that will lead to the next picture. One piece is meant to dock on to others. They drift and yet are frozen in their frames. These paintings call for absolute proximity, are almost painful, are even from a distance still charged with pulsating intensity, be- cause what is painted and its medium have become so inseparably one and the same, like an organism that generates itself, transforms, and is forever in flux.
1. See Daniel Baumann, “Was verspricht die Form,” in: Spike Art Magazine, 51, 2017, p. 1402.
2. Markus Brüderlin, “Ornamentale Gebärden abstrakter Malerei,” in: Thomas Werner – Bilder, Skulpturen, Reliefs, exh. cat. Badischer Kunstverein Karlsruhe, Karlsruhe, 1990. See also Markus Brüderlin ed., Ornamentund Abstraktion, Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog, exh. cat. Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Cologne 20013.
3. Since about 2014 the images are no longer pre-formulated on-screen. “No computer is sued. Everything takes place on the canvas.” Marina Rüdiger: Thomas Werner – Neue Bilder (Galerie Bärbel Grässlin, Frankfurt, July 14 – Aug. 8, 2015), see http://galerie-graesslin.de/exhibitions/thomas-werner/200/press